Ukraine
Beschreibung
Im Gegensatz zum zentralistisch ausgerichteten Bildungssystem ist das Berufsbildungssystem seit 2007 einem zunehmenden Dezentralisierungsprozess qua gesetzlichem Dezentralisierungsdekret unterworfen und zielt auf eine langfristige Übertragung der Berufsbildungsfinanzierung und des Berufsbildungsmanagements auf die Regionalebene. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft ist für die allgemeine Organisation und Überwachung des Bildungsbereichs zuständig. Verschiedene Bildungseinrichtungen sind dem Gesundheitsministerium, dem Ministerium für Kultur sowie dem Ministerium für Landwirtschaft unterstellt, das Bildungsministerium ist diesen gegenüber im Bildungsbereich weisungsbefugt.
Die Verwaltung der Berufsbildung wird auf nationaler Ebene durch ein speziell bevollmächtigtes zentrales Exekutivorgan für den Bereich der Berufsbildung geregelt, dessen Funktionen gegenwärtig vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft ausgeübt werden. Es hat unter anderem die Aufgaben, die Durchsetzung der staatlichen Berufsbildungspolitik zu organisieren und Entwicklungsperspektiven zu umreißen sowie Gesetzesentwürfe, das staatliche Verzeichnis der Ausbildungsberufe, staatliche Berufsbildungsstandards, Rahmenlehrpläne, Curricula und andere Rechtsakte mit Bezug auf das Funktionieren der Berufsbildung auszuarbeiten. Darüber hinaus ist es für die Gründung, Auflösung und Lizenzierung der berufsbildenden Schulen zuständig.
Das Berufsbildungssystem der Ukraine ist durch ein ausgedehntes Netz berufsbildender Schulen gekennzeichnet. Insgesamt gab es im Jahr 2019 1061 Bildungsanbieter. Es gibt verschiedene Schultypen und Eigentumsformen. Es gibt jedoch keine Übereinstimmung zwischen der Bezeichnung einer Bildungsinstitution und dem damit verbundenen Bildungsniveau sowie deren Qualität. Lediglich Lehrplaninhalt und Zeugnis/ Diplom geben Aufschluss über Niveau und Qualität des Bildungsabschlusses.
Das Berufsbildungssystem stellt dabei eine hohe Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsstufen sicher.
Berufliche Grundbildung [початковий рівень професійної (професійно-технічної) освіти/ pochatkovyi riven‘ profesiinoi (profesiino-tekhnichnoi) osvity] vermittelt kursartig eine berufliche Anfangsausbildung, insbesondere im Produktions- und Dienstleistungsbereich und dauert zwischen einer Woche und sechs Monaten. Es besteht keine Zugangsbeschränkung zu den Bildungseinrichtungen der beruflichen Grundbildung (Berufsbildungskurse, Berufsschulen, Bildungs- und Produktionszentren). Eine abgeschlossene Sekundarstufe I ist hierfür nicht erforderlich. Die berufliche Grundbildung wird mit einem Zeugnis [свiдоцтво] abgeschlossen.
Berufliche Basisbildung [професійна (професійно-технічна) освіта/ profesiina (profesiino-tekhnichna) osvita] vermittelt technisches Wissen, Theorietransfer und die Fähigkeit zur Durchführung komplexer operativer Prozesse. Die Ausbildung findet sowohl in Berufsschulen [училища/uchylyshcha] als auch in spezialisierten technischen Berufsschulen [технікуми/technikumy] sowie in Bildungs- und Produktionszentren statt. Die Dauer der beruflichen Basisbildung variiert je nach Eingangsqualifikation. Zugangsvoraussetzung ist jedoch der Abschluss der allgemeinbildenden Sekundarstufe I nach der 9. Klasse. Die berufliche Basisbildung wird mit dem Diplom „Qualifizierter Arbeiter“ [диплом кваліфікованого робітника/dyplom kvalifikovanogo robitnika] abgeschlossen und ermöglicht die Ausübung eines Berufs. Mit dem Abschlusszeugnis wird auch eine Einstufung in eine Gehaltsklasse zugewiesen. Seit 2015 wird die berufliche Basisbildung zusätzlich als duale Ausbildung angeboten. Die duale Ausbildungsform befindet sich noch im Ausbau. Im Jahr 2019 wurden weniger als 4% der Auszubildende dual ausgebildet.
Ausnahmeregelungen ermöglichen auch Personen, die die Sekundarstufe I nicht abgeschlossen haben, den Zugang zur Berufsausbildung in ausgewählten Berufen.
Berufliche voruniversitäre Bildung [фахова передвища освіта/fakhova peredvyshcha osvita] vermittelt spezialisierte technische Fachkenntnisse, den Umgang mit komplexen Technologien sowie die Fähigkeit zur Problemlösung in atypischen Situationen. Die Ausbildung findet in der Regel an den Fachberufsschulen [фаховий коледж/fakhovyi koledzh] statt. Sie kann aber auch an den Berufsschulen [професійні училища/profesiini uchylyshcha], Lyzeen [ліцеї/litsei] und Hochschulen [інститути, університети/instytuty, universytety] mit entsprechender Lizenz erfolgen. Die berufliche voruniversitäre Ausbildung wird auf der Grundlage der allgemeinbildenden Basisschule (nach der 9.Klasse), der allgemeinbildenden Fachoberschule/der vollständigen allgemeinbildenden Oberschule (nach der 11./12.Klasse), der beruflichen (beruflich-technischen) Bildung, der beruflichen voruniversitären Ausbildung oder der Hochschulbildung erworben. Der Umfang der beruflichen voruniversitären Bildung beträgt auf der Grundlage der Oberschule 120-180 ECTS-Punkte und auf der Grundlage der allgemeinbildenden Basisschule bis zu 240 ECTS-Punkte. Personen, die eine berufliche voruniversitäre Ausbildung auf der Grundlage der allgemeinbildenden Basisschule erhalten, sind verpflichtet, gleichzeitig das Bildungsprogramm der allgemeinbildenden Oberschule zu absolvieren. Am Ende der voruniversitären Bildung wird das Diplom „Junior Fachbachelor“ [диплом фахового молодшого бакалавра/dyplom fakhovogo molodshogo bakalavra] verliehen. Die erste Zulassung zur beruflichen voruniversitären Bildung fand im Jahr 2020 statt.
Im Jahr 2014 wurden im Bereich der Hochschulbildung zusätzlich Short-Cycle-Programme [короткий цикл вищої освіти/korotkyi tsykl vyshchoi osvity] eingeführt. Der Umfang dieser Programme beträgt 90-120 ECTS oder 1,5-2 Jahre. Diese Anfängerstufe der Hochschulbildung wird mit dem Diplom „Junior Bachelor“ [диплом молодшого бакалавра/dyplom molodshogo bakalavra] abgeschlossen. Die Zugangsvoraussetzung ist die abgeschlossene allgemeine Oberschule und/oder die abgeschlossene berufliche voruniversitäre Bildung (Junior Fachbachelor). Die erste Zulassung zum Short-Cycle-Programm „Junior Bachelor“ fand im Jahr 2019 statt. Ab 2024 erfolgt keine Zulassung mehr zu diesem Abschluss.
Landesspezifische Besonderheiten
Seit 2014 orientiert sich die Ukraine zunehmend Richtung Westen und Europäischer Union. Im Jahr 2014 wurde das Hochschulgesetz neugeordnet, im Jahr 2017 das Bildungsgesetz, das die Anpassung des ukrainischen Hochschulsystems an die Bologna-Reformen untermauerte. Im Jahr 2019 wurde das neue Gesetz über voruniversitäre Berufsbildung verabschiedet. Das Berufsbildungsgesetz wird noch entwickelt. Darüber hinaus wird seit 2015 die duale Ausbildungsform nach dem deutschen Vorbild ins Berufsbildungssystem integriert.
In der Ukraine gibt es unkontrollierte Gebiete (Regionen Saporischschja, Cherson, Luhansk und Donezk sowie Autonome Republik Krim und Sewastopol), in denen zurzeit die Zeugnisse nach dem russischen Berufsbildungssystem ausgestellt werden.
Aktuelle Reformprozesse
Am 12. September 2025 trat in der Ukraine das neue Gesetz „Über berufliche Bildung“ in Kraft. Mit dem Gesetz verfolgt die Ukraine das Ziel, ihr System der beruflichen Bildung umfassend zu modernisieren und an die aktuellen Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen. Dabei stehen mehrere zentrale Reformschwerpunkte im Vordergrund:
- Stärkung der Autonomie von berufsbildenden Bildungseinrichtungen: Einrichtungen können künftig über organisatorische und finanzielle Angelegenheiten selbst entscheiden, ihre Strukturen flexibler gestalten und Einnahmen aus unterschiedlichen Quellen nutzen.
- Qualitäts- und Leistungsorientierung: Lernende werden in unabhängigen Qualifikationszentren geprüft, wodurch die Objektivität und Vergleichbarkeit der Berufsabschlüsse erhöht wird.
- Inklusion und Zugang: Das Gesetz garantiert allen Lernenden das Recht auf berufliche Bildung und enthält spezielle Regelungen zur Unterstützung von Menschen mit besonderen Bildungsbedürfnissen.
- Marktnähe und Praxisbezug: Durch die stärkere Einbindung von Unternehmen und die Möglichkeit dualer Ausbildungsformen sollen die Ausbildungsinhalte eng an den Anforderungen der Wirtschaft ausgerichtet werden.
- Finanzielle Nachhaltigkeit und Strategie: Das Gesetz legt neue Finanzierungsprinzipien fest, fördert ergebnisorientierte Haushaltsführung und bildet die Grundlage für eine nationale Strategie der Berufsbildung, die auf moderne Technologien und europäische Standards ausgerichtet ist.
Durch diese Reformen soll die berufliche Bildung in der Ukraine effizienter, flexibler und international vergleichbarer werden und gleichzeitig die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen und die Qualifikation der Fachkräfte verbessert werden.
Historische Entwicklung
Berufsbildungssystem von 1998 bis 2019
Beschreibung
Das Berufsbildungssystem ist dreistufig und stellt dabei eine hohe Durchlässigkeit zwischen den Stufen sicher.
Die erste Stufe [першого ступеню/pershogo stupenyu] vermittelt kursartig eine berufliche Anfangsausbildung, insbesondere im Produktions- und Dienstleistungsbereich und dauert zwischen einer Woche und sechs Monaten. Es besteht keine Zugangsbeschränkung zu den Bildungseinrichtungen der ersten Stufe (Berufsbildungskurse, Berufsschulen, Bildungs- und Produktionszentren). Eine abgeschlossene Sekundarstufe I ist hierfür nicht erforderlich. Die erste Stufe wird mit einem Zeugnis (Свiдоцтво) abgeschlossen.
Die zweite Stufe der Berufsbildung [другого ступеню/drugogo stupenyu] vermittelt technisches Wissen, Theorietransfer und die Fähigkeit zur Durchführung komplexer operativer Prozesse. Die Ausbildung findet sowohl in Berufsschulen [училища/uchylyshcha] als auch in spezialisierten technischen Berufsschulen [технікуми/technikumy] sowie in Bildungs- und Produktionszentren statt. Die Dauer der zweiten Stufe variiert je nach Eingangsqualifikation. Zugangsvoraussetzung ist jedoch der Abschluss der allgemeinbildenden Sekundarstufe I nach der 9. Klasse. Die zweite Stufe wird mit dem Diplom „Qualifizierter Arbeiter“ [диплом кваліфікованого робітника/dyplom kvalifikovanogo robitnika] abgeschlossen und ermöglicht die Ausübung eines Berufs. Mit dem Abschlusszeugnis wird auch eine Einstufung in eine Gehaltsklasse zugewiesen. Seit 2015 wird die zweite Stufe der Berufsbildung zusätzlich als duale Ausbildung angeboten. Die duale Ausbildungsform befindet sich noch im Ausbau. Im Jahr 2019 wurden weniger als 4% der Auszubildende dual ausgebildet.
Ausnahmeregelungen ermöglichen auch Personen, die die Sekundarstufe I nicht abgeschlossen haben, den Zugang zur Berufsausbildung in ausgewählten Berufen.
Die dritte Stufe der Berufsbildung [третього ступеню/tret'ogo stupenyu] vermittelt spezialisierte technische Fachkenntnisse, den Umgang mit komplexen Technologien sowie die Fähigkeit zur Problemlösung in atypischen Situationen. Die Ausbildung findet an höher spezialisierten Colleges statt. Zugangsvoraussetzung zur dritten Stufe ist der Abschluss der Sekundarstufe II nach der 11. Klasse. Bei nicht Vorliegen einer vollständigen Sekundarbildung kann diese im Rahmen einer zweijährigen, komplementären Ausbildung parallel erworben werden. Die dritte Stufe wird mit dem Diplom „Qualifizierter Arbeiter“ [диплом кваліфікованого робітника/dyplom kvalifikovanogo robitnika] abgeschlossen oder mit einem Diplom „Junior Spezialist“ [диплом молодшого спеціаліста/dyplom molodshogo spetsialista].
Das gesamte Bildungssystem sowie das Berufsbildungssystem ist seit der Deklaration der Souveränität der Ukraine am 16. Juli 1990 und seit der Veröffentlichung des Gesetzes der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik - über die Bildung im Juni 1991 einem weitgehenden Reformprozess unterworfen. Am 3. November 1991 wurde ein staatliches Bildungsprogramm "Bildung - Die Ukraine im 21. Jahrhundert" (Osvita - Ukrajina XXI stolittja) verabschiedet. Es stellte eine systematisierte und konkretisierte Gesamtkonzeption zur Reform und Reorganisation des Bildungswesens dar.
Im Rahmen der seit 1991 durchgeführten Bildungsreform (Reorganisation der beruflichen Spezialisierung, Erhöhung des Qualifikationsniveaus der Lehrkräfte, Überarbeitung der Lehrpläne, Ausrichtung der Lehrinhalte an den Anforderungen des Arbeitsmarktes, Kooperation zwischen dem Berufsbildungssektor und den Universitäten) wurden verschiedene technische und berufsbildende Ausbildungen in den Bereich der höheren Bildung überführt. Gleichzeitig wurden vier institutionelle Akkreditierungsstufen eingeführt, von denen die Akkreditierungsstufen eins bis drei für den Bereich der beruflichen Bildung relevant sind, die vierte Stufe bezieht sich auf den Bereich der Hochschulbildung.
Seit 1996 wurden zahlreiche grundlegende Gesetze für die Bildungsreform verabschiedet. Die Reform der Berufsbildung ist im Gesetz über die Berufsbildung von 1998 und dem Gesetz über die gestufte Berufsbildung von 1999 geregelt, zu deren Umsetzung weitere Rechtsakte erfolgten.
Berufsbildungssystem zur Zeit der Sowjetunion von 1950 bis 1992
Beschreibung
Eine Beschreibung des Berufsbildungssystems der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, kurz UdSSR, findet sich unter Sowjetunion.
Weiterführende Informationen
Quellen und Links
Aktuelles ukrainisches Berufsbildungsgesetz (ukr.: Про професійну (професійно-технічну) освіту) von 1998, aktuelle Fassung von 2022
